Exportweltmeister

Andrea Lamest

Christian Schnurer gehört einer Generation an, die im Osten Bayerns, unmittelbar neben dem Eisernen Vorhang, aufgewachsen ist. Mit dem Projekt »Ostexport« untersuchte der Künstler Mechanismen militärischer Interventionen von Vergangenheit zur Gegenwart. Er reiste 2015 mit einem Trabant durch ehemalige Ostblockstaaten von München nach Kiew und wurde dabei von dem Filmemacher Lorenz Kloska begleitet. Auf dem Dachgepäckträger des Reisemobils war der in rosa Folie verpackte Abwurftank eines russischen Kampfjets montiert – Titel seiner »Skulptur«: Exportweltmeister.

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Auf dem Weg nach Kiew durchkreuzte der Künstler Wien, Budapest, Bratislava und Lwiw. Dort suchte er Heldenplätze und Denkmäler auf, die auf den Gebieten des ehemaligen Ostblocks in einer Vielzahl vorhanden sind. Die meisten von ihnen wurden zu Ehren gefallener Rotarmisten gegen den faschistischen deutschen Feind errichtet. Christian Schnurer platzierte sein Gefährt vor den jeweiligen Mahn- und Heldendenkmälern. Der Exportweltmeister fungierte dabei als Protagonist und Vermittler, der die Menschen mit dem Künstler vor Ort ins Gespräch bringt. Hilfreich dabei: Der in rosa Noppenfolie verpackte Abwurftank.

Schilderungen von Bombardierungen mit phallischer Metaphorik sind üblich. Zur Zeit des Kalten Krieges, auf einem Seminar für Atomwissenschaftler, sagte man einer Teilnehmerin, dass kein Wissenschaftler je ernstlich eine Abrüstung in Erwägung ziehen würde, denn Abrüstung bedeute nichts anderes als Entmannung (Cohn Carol: »In the Rational World of Defense Intellectuals«, in: Signs 12 / 4, 1987). Die Forscher hielten Vorträge über »vertikale Erektorabschußrampen« und ein Militärbe-rater des Nationalen Sicherheitsrates bezeichnete erfolgreiche –Militäroperationen als »tiefe Penetration«. Seinem Zweck entfremdet, liegt der Abwurftank als in rosa verpacktes Phallussymbol auf dem Dachgepäckträger eines alten, rostigen Trabis aus der ehemaligen DDR, der von einem Westdeutschen gesteuert wird, welcher damit Länder bereist, die einst zur Sowjetunion oder ihrem Einflussgebiet gehörten, die wiederum vor 75 Jahren von der deutschen Wehrmacht überfallen wurden.

Eine Provokation? Die verpackte Skulptur musste Schnurer an der Grenze zur Ukraine auseinanderbauen, man wollte sichergehen, dass es sich dabei nicht um eine Rakete handele. Dem Künstler trat man aber auch mit Witz entgegen: »Bestimmt ein Geschenk von Merkel an Putin«, scherzte der Grenzbeamte.

Die Helden- und Ehrendenkmäler werfen Fragen zu Zweck, Vergan-genheitsbewältigung, Verlust, Heimat, Krieg, Patriotismus und Propa-ganda auf und bieten dazu Projektions- und Interpretationsflächen. Vergangenes lässt sich nicht von der Gegenwart trennen. So werden in der Russischen Föderation derzeit neue Stalindenkmäler gebaut, die Geschichtsbücher werden umgeschrieben und die baltischen Staaten fürchten sich vor einer militärischen Intervention, wie sie in der Ukraine bereits stattgefunden hat.

Waffenexporte aus Deutschland haben sich in den letzten anderthalb Jahren verdoppelt, während die Kriege anderswo eskalieren. Deutschland ist Exportweltmeister, an dritter Stelle, nach den USA und der Russischen Föderation, gefolgt von Frankreich und China. Mit fast schon subversiv anmutendem Witz versteht es Christian Schnurer, As-pekte von Nationalismus, Militarismus und Kriegspropaganda aufzugreifen und offen zu legen. Der Kalte Krieg ist längst vorbei und wurde zwischenzeitlich von Phasen militärischer Entspannung abgelöst, doch hat ein neuer, hybrider Krieg begonnen.

Kulturallmende hat Christian Schnurer, geb. 1971 in Schwandorf, Oberpfalz, mit den Fotoarbeiten und dem Filmdokument seiner Kunstaktion Ostexport zum Projekt Eine Brücke aus Papier in die Ukraine eingeladen. Zwei Galerien der »Brücken«-Städte, die Ya Galerie Kunstzentrum Dnipro und die Dzyga Galerie Lwiw, bieten dem Künstler Raum für seine Ausstellung, mit maßgeblicher Unterstützung des Goethe-Instituts Ukraine. Schnurer startete im Oktober 2015 von München nach Kiew, über Wien, Bratislava und Budapest mit dem Expeditionsprojekt »Ostexport« in einem Trabant mit einem rosa eingepackten Abwurftank sowjetischer Herkunft auf dem Autodach, um Krieg und die glorifizierenden Denkmäler, vor denen er in jeder Stadt Halt machte, in Frage zu stellen. 

Lorenz Kloska, Filmemacher aus München, begleitete die gesamte Aktion mit Kamera und Ton. Der Film Ostexport – unterwegs mit dem Exportweltmeister von München nach Kiew (Länge 60 min.) wurde am 6. Oktober 2016 im Arena Filmtheater in München uraufgeführt.