Der Krieg zieht sich hin

Grigory Semenchuk

der Krieg zieht sich hin

immer bricht unerwartet der Krieg durch
auch wenn du weißt, dass es dauert
die Sirene weckt deine Stadt auf
schüttelt die Luft mit Geheul durch

„wach auf. der Krieg hat begonnen.“
wir schalten alles ab
schultern unser
Notgepäck
Wohnung zu
und raus auf die Straße

der Krieg ist ein Morgenalarm
Staus vor Geldautomaten
Einberufungsämtern

in deinem Hof
der Nachbar in Kriegsuniform
auf Hunderunde
„wer hat denn den Schlüssel zum Bombenkeller?“
„weiß nicht.“

wir gehen wieder heim
kochen Kaffee
so vergeht der erste Schock
der Gedankenschwarm im Kopf

wenngleich die Bombe dich
nicht traf
in den ersten Sekunden
trifft der Himmel dich doch
mit Sirenengeheul
Gebrüll und Gestöhn

der Krieg zieht sich Jahrhunderte hin
doch du bist noch nicht bereit für
Krieg aus purer Gewohneit
aus purer Gewohnheit nicht zu sterben
aus purer Gewohnheit zu überleben

Übersetzung aus dem Ukrainischen: Bohdan Storokha
Nachgedichtet: Ulrike Almut Sandig

ihre Namen

ihre Namen zu denken und auszusprechen
schmerzt endlos vor Gram
es ist wie ein Amen
zu einem, der kein Amen hört

nichts als den Schmerz habe ich
alles andere befindet sich in der Vergangenheit
zu der du nicht wieder zurück kannst
aber gab es die überhaupt?

es ist wie ein verwackeltes Bild
wie eine ungelesene letzte Nachricht
davon, wie man
den Sieg überlebt
die Niederlage durchsteht
wie alles von Neuem losgeht

unser Heute ein Haufen
biblischer Gleichnisse
durchleben wir das bis zum Schluss?
wer von uns kann‘s
und wer nicht
wer von uns wird für immer zu Stein
zu Asche zu Erde?

jemand halte
diesen Tag an, diese Stunde
heut‘ werde ich an alle denken
die ich kenne
und an die, die ich nie kannte
nie kennenlernen werd‘

die Zeit kriecht wieder dahin
dicht wie der Nebel des Krieges
wir folgen ihr nicht auf der Uhr
sondern auf der Landkarte
der Karte, die uns immer
an ihre Namen erinnert

Übersetzung aus dem Ukrainischen: Claudia Dathe
Nachgedichtet: Ulrike Almut Sandig

Obdach für die Unsrigen

ein Obdach für die Unsrigen
dem Tode entronnenen
für solche wie dich
Ukrainer

desorientiert
an ihrem Zufluchtsort
suchen sie Ruhe
suchen Vergessen

Gott ist für sie gestorben
und hier wieder auferstanden
an einem Ort mit einem Kanten Brot
irgendwo, weit weg von den eigenen Wänden

„das Leben ist herrlich...
das wird mir jetzt klar.
und Ziegel?
Ziegel lassen sich wieder aufbauen“

weiter zu fragen getrau ich mich kaum
aus Angst, dass es mir den Boden wegzieht
in den Stromschnellen ihrer Geschichten
die ich nicht aushalten kann

jemand schaut nach Westen
jemand wartet auf Bericht aus dem Osten
und das einzige
was an die letzten Stunden zu Hause erinnert
ist der nächste Bomben-
alarm

ihre Tage vergehen
in der Hoffnung heimzukehren
eines Tages
die Blätter vom Kalender zu reißen
die Daten zu streichen

ein Obdach für die Unsrigen
die anderen und die gleichen
für alle, die etwas verließen
die so lange brauchten
sich ein Leben aufzubauen…
„Das Leben? Es ist herrlich…
aber lässt es sich
wieder aufbauen?“

Übersetzung aus dem Ukrainischen: Claudia Dathe
Nachgedichtet: Ulrike Almut Sandig

Ukrainische Tränen Ltd.

wenn Tränen Feinde töten könnten
wenn Tränen unsere Toten lebendig machen könnten
wenn Tränen Häuser wieder aufbauen könnten
wenn Tränen die Zeit zurückdrehen könnten
hätten wir längst alle Sorgen beweint

leider herrscht aber Tränenmangel
weinen ist physisch unmöglich
das Staatsunternehmen
Ukrainische Tränen Ltd.
muss etwas noch
für den Binnenmarkt zurückhalten
doch der Tränengewinn ist weiter gefallen
denn wir haben bereits alle geweint

es gibt keine Tränen mehr
nur stumme Wut, nur blinden Hass
nur den herzlosen Weg bis zum Schluss
den Kampf bis zum letzten von uns
der einfach leben und Mensch sein will
und nicht Sklave oder getötet im eigenen Land

unsere Tränen sind nur
für den Eigenbedarf
um die Nachfrage der Bürger zu befriedigen
weder im Westen noch im Osten
sind sie für jemand von Nutzen
das ist kein Getreide, kein Gas oder Öl

unsere Tränen brauchen wir selbst
um uns zu erinnern, warum wir nicht
mehr weinen können
warum es uns schwerfällt zu lachen
warum wir von Alt bis Jung
alle missmutig sind

ich will, dass wir öfter weinen
aus Freude, weil jemand wiederkommt
Trauertränen sind uns ausgegangen
fürs Leid haben wir nur noch
stumme Wut, nur blinden Hass
den herzlosen Weg bis zum Schluss
den Kampf bis zum letzten von uns

Übersetzung aus dem Ukrainischen: Claudia Dathe
Nachgedichtet: Ulrike Almut Sandig

Warnton

der Warnton schrillt übers Kirchenportal
als habe im Inneren plötzlich
Gott Einzug gehalten

die Stadt ist mit Glatteis überzogen
die bunten Fenster des Gotteshauses
funkeln in der Dunkelheit

ich frage mich, ob er wirklich
in dieser von Baggern zerfurchten
Straße ankam

ob er den dunklen Februar erhellte
uns vom Himmel aus bedeckte
mit seinem ewigen Licht

uns erklärte, was als nächstes passieren
wo man Kraft finden würde
wie den Verstand nicht verlieren

ob er die Schlichten beruhigen
den Klugen erklären
die Durchschnittlichen nicht anrühren würde

der Warnton legte sich wieder
vielleicht war es alles
falscher Alarm

er kam oder kam nicht
er sah um sich und merkte
dass es nicht an der Zeit war

Übersetzung aus dem Ukrainischen: Ulrike Almut Sandig

es läuft Zeit aus

es träufelt Blut
es läuft Zeit aus
Blut gerinnt
Zeit gerinnt nicht

dreh dich um, erinner dich
wie ein kleines Kind
mit Anlauf
in die Pfütze sprang

und noch wusste
wie das Lachen geht
keinen Schimmer hatte
was ihm bevorsteht

die Zeit hat sich uns ausgesucht
sie fiel uns immer schwerer
jeder mühte sich ab
zwischen den Zeigern

flohen wir, verloren wir
den letzten Stundenstiller
diese Wunde heilt nicht mehr
sie bleibt uns für immer

zum Blick nach oben keine Zeit
zum Blick nach unten nicht bereit
die Zeit tropft mit Methode
klopft ihren festen Rhythmus

gleich einem alten Metronom
unseres Vorübergehens
einer Serie von Schüssen, einem Erdball
der längst abgefeuert ist

Übersetzung aus dem Ukrainischen: Ulrike Almut Sandig

***

V.A.

gerade wollte ich zu deiner Beerdigung
als ein Schmetterling auf den Balkon flog
und um die Fenster wie zum Abschied
Kreise über Kreise zog

war kein Sommer, war ein Sehnen
und ich riss alle Fenster auf
um ihn hinaus zu lassen
versuchte ihn leicht am Flügel zu fassen
und ließ wieder los

flieg nur für immer, fort in den Sommer
an meinen Fingern schimmern Pollen
gelb, blau und schwarz

der Priester in der Kirche sagte
du seist ein Engel geworden
dabei warst du vorher schon einer
aus Güte und Licht
mit ein wenig Trauer im Blick

Generation in Fahnen
umwickelter, geschlossener Särge
unschuldig Getöteter
die lange hätten leben müssen
um ihre Bücher zu verfassen
und drüber ihr Augen-
und nicht ihr Herzlicht einzubüßen

Übersetzung aus dem Ukrainischen: Ulrike Almut Sandig

die Heiligen Gregors                                              

 in der Bank
gratulierte die Kassiererin
der Senior Operations Managerin
Julia
zu ihrem Heiligentag              
der gerade gewesen war
und Julia antwortete
ich feiere immer
die Winterjulia
 
und mir fielen
jene Heiligen Gregors ein
 
deren Namenstage
fast in allen Monaten liegen
ich habe nämlich einen Freund
der mir zu jedem gratuliert.
 
natürlich will
Gregor von Nazianz
der berühmteste von ihnen erwähnt sein
er gilt als Begründer des Genres
der Autobiografie
und hinterließ
43 Episteln
507 geistliche Gedichte und
45 Predigten.
Sünde wäre es auch
Gregor den Großen
den Römischen Papst
nicht gleich zu erwähnen –
von Katholiken wie Orthodoxen
selbst Anglikanern geliebt
na, und wenn
wir schon dabei sind                                    
danken wir noch einem
Papst Gregor
der mehr als
1000 Jahre nach
dem Großen lebte
für seinen Gregorianischen
Kalender
 
Unter den Gregorys gab es ferner
zwei Wundertätige                                        
aus Neocäsarea und aus Petschersk
der aus Neocäsarea
kämpfte gegen das Heidentum
und der aus den Höhlen
wurde von Soldaten ertränkt
starb den Märtyrertod
sein Leichnam aber fand sich später
wundersam in der eigenen
Zelle
 
Gregorios Palamas
Begründer des Hesychasmus
Philosoph, Mönch
in türkischer Gefangenschaft
überlebte jedoch und erreichte ein reifes Alter
seine letzten Worte waren
„Auf zu den Höhen!“
Sein Namensvetter aus Nyssa schon
Teilnehmer des Zweiten Ökumenischen Konzils
Autor des nizänischen Glaubensbekenntnisses
oder auch Gregor der Erleuchter
bekehrte ganz Armenien
zum Christentum
 
Gregor vom Sinai
radikaler Asket
Mönch des Jahres
das wäre sein
Preis
in unserer Zeit
Na, und was wären wir ohne die großen Künstler
Gregor dem Ikonographen
und St. Gregor von Dekapolis
der eine malte Ikonen
der andere bekämpfte die Häresie
der Ikonoklastik
 
also ihr merkt schon
die waren schon cool, diese Gregors
hatten ständig was zu tun
und wenn man so will
gingen sie
bis zum Äußersten
jeder auf seine eigene Art
aber Gott sei Dank
müssen wir uns zwischen ihnen
nicht entscheiden
immer gibt es einen anzubeten
immer gibt es einen anzuklagen
und vor allem
viele Gelegenheiten
zum Feiern

Übersetzung aus dem Ukrainischen: Ulrike Almut Sandig

...und der Chirurg sagte zu mir:

...und der Chirurg sagte zu mir:
„Darüber schreibst du dann ein Gedicht”
und ich antwortete „Wohl gleich ein Poem”
allerdings wie man sieht nur ein kurzes

Gott sei Dank nur ein kurzes
wie die Nadel die mir das Leben
mehr als einmal ins Rückgrat rammte,
sie umdrehte und mich ausfragte:
warum es so krumm sei
und ob ich Narkose verlangt hätte
in extra hoher Dosis

Es ist nicht krumm
es steht unter Spannung
ist ein Dichterrückgrat
ist Textkörper durch und durch
da hast du ihn
lies unterstreich korrigier

Ein guter Chirurg
wie ein guter Lektor
schneidet dir die Fehler heraus
ringt dir ab wie es um dich steht
zwingt dich die eigenen Verse zu lesen

Und dann sagt er: „Fertig”
und es holt dich
ein schwangerer Engel ab
fährt dich lächelnd durch
düstere Gänge
ins Licht zurück
wo dich Mama erwartet
und diese ganze Welt
mit all ihren Figuren

Wie mir ein Freund ebenfalls Dichter erzählte:
„als sie mich operierten und ich sagte
meine Werke seien Schullektüre
lachten sie mich aus
nach dem Motto:
was Hirntote so quatschen”

wie gut, dass Zeiten sich ändern

Übersetzung aus dem Ukrainischen: Beatrix Kersten

heiße Einweihungsparty


als wir hier ankamen
wurde uns gesagt
„seien Sie vorsichtig
wir haben empfindliche Rauchmelder“
empfindlich wie Schriftsteller
dachte ich noch

und fragte mich dann
wer wohl als erster
im Lotto gewänne
bitte, wo geht’s zum Jackpot
der Bekanntschaft mit polnischen Feuerwehrleuten?

es stellte sich heraus
dass dieser Jackpot
mir zugedacht war

ich hatte gar nichts geraucht
ich wollte nur
ein Abendmahl kochen
ein einfaches Abendmahl
überhitztes Öl
gefrorenes Gemüse
ein wenig Rauch
na also
Alarm Evakuierung Prostration
all der großen Dichter und Romanciers
welche die altehrwürdige Villa bewohnten

die Feuerwehrleute waren verschwunden
der Restbestand blieb
und meldete falschen Alarm
durch einen ukrainischen Pyromanen
und Fan von
Tiefkühlgemüse
doch das schlimmste von alldem
der elektrische Strom war noch weg
und ihr wisst ja
wie wichtig dStrom für Schriftsteller ist

ich betrachtete den traurigen Hubert
der es nicht geschafft hatte, eine wichtige E-Mail zu speichern
und wollte ihn irgendwie trösten

ein Jahr lang hatte ich nicht getrunken
und plötzlich kam folgendes aus meinem Mund
„Hubert, möchtest du Bier?“
kaum hatte ich seine Antwort vernommen
als wir bereits seinen Wagen erklommen
und einkaufen fuhren

gehen zwei Schriftsteller
ein polnischer und ein ukrainischer
in den Laden, um Bier zu kaufen
kehren sie mit Schnaps zurück
so das Gesetz

Licht gab es keins mehr
wir setzten uns in die Küche
wir deckten den Tisch
wir holten die Gläser heraus
und die Post-Brand-Party
zwei trüber Literaten
beim Warten auf das Licht
begann

später
die Flasche war schon halb leer
gesellten sich Autoren zu uns
die zwar den Feuerwehreinsatz verpasst hatten
Licht gab es immer noch nicht
aber entzückt waren
dass es nach zwei Wochen
endlich eine Einweihungsparty gebe
ein ungarischer Schriftsteller
und ein britischer Dichter
waren etwas erstaunt über unser
ukrainisch-polnisches Tempo
im Alkoholverbrauch
sie versuchten sich auch
mit uns auf Augenhöhe zu halten
vergeblich
nie würden sie uns
einen Polen und einen Ukrainer
im Schnapstrinken einholen

der Brite wurde verpflichtet
zwei weitere Flaschen zu besorgen
da er sowieso jeden Morgen laufen ging
alle lernten sich kennen und wurden Freunde
entdeckten in sich die hervorragenden
kommunikativen Eigenschaften
die Fusel in einem weckt
alles war gut
bis
der Meister erschien
und
das Licht reparierte
ich weiß noch
wie ich ihm dankte
was dann kam – terra incognita
da ich bei Flasche Vier angelangt war

wie ich im Zimmer landete
weiß ich nicht mehr
wie alles endete, auch nicht
ich weiß nur noch
von jenem herrlichen Schreibgeist
den wir zwei weitere Wochen vermissen ließen
um einander besser kennenzulernen
und wie Familie zu werden

am Morgen wachte ich
in Kleidern auf
mit der SMS einer unbekannten ukrainischen Nummer
„bitte hole dein Auto ab“
welches Auto zum Teufel, dachte ich
ich hab gar keinen Führerschein
ach, wer würde mich jetzt
von diesem tragischen Kater erlösen
von dieser Trauer, ein Jahr lang nicht gesoffen zu haben
und jetzt zu wissen, warum
mein ganzer Körper zerrte wie irr
ich kam ja kaum aus dem Bett
schaffte es bis in die Küche
wo schon eine Ungarin
(die sagte, sie könne sich nicht
erinnern, je so verkatert gewesen zu sein)
und ein Brite
(der jetzt endlich wusste
wo seine Leber war)
frühstückten, doch abgesehen davon
dankten sie mir für den tollen
Abend gestern

„gerne wieder“
antwortete ich. aber dann fiel mir ein
was würden wir so wiederholen?
den Brand, den Stromausfall
ganz allgemein
an Alkohol nur zu denken
quälte mich schon

nicht weiter schlimm
ich komme drüber hinweg
Hauptsache, meine Nachbarn
wissen jetzt alle
dass ich Spezialist für heiße Einweihungs-
partys für Schriftsteller bin.
kein Organisationtalent?
rufen Sie mich an
ich besorge das
schnell
effizient
schlüsselfertig.

Übersetzung aus dem Ukrainischen: Ulrike Almut Sandig

die Welt steigt aus dem Verstand


der Bahnhofsobdachlose
fragt mich nach einer Zigarette
Feuerzeug braucht er nicht
Streichhölzer hat er

bedankte sich
entzündete sie und
verkündete geheimnisvoll
„die Welt steigt aus dem Verstand“

dann verschwand er
gen Busbahnhof
zur Schenke, wo
ein ukrainisches Klagelied spielte

irgendwo gibt es vielleicht
das Trittbrett des Verstandes
fast
wie die Jakobsleiter

klettern Menschen es
herauf und herab
wie aus einem Kyjiwer Zug
auf Bahnsteig Eins

spannend
und wenn einem im Aufzug
die Sicherungen durchbrennen
was sind das für Knöpfe
ruft man die Zentrale

die Rolltreppe
mal wieder
außer Betrieb
noch nicht eingeschaltet
dabei ist sie neu und aus Europa

die fragliche Richtung
rauf oder runter
ist nur eine Frage der Zeit
nur eine Frage der Infrastruktur

Rampen Handläufe
die Stufenhöhe
von Gott bemessen
für jeden von uns

ein Kosakenmarsch spielt
der Schaffner senkt die Waggonstufen ab
Menschen gehen die Stufen hinunter
die Welt steigt aus dem Verstand

die Welt steigt aus dem Verstand
hält sich am Handlauf fest
an der eiskalten Leiter
langsam
wie ein alter Mensch

in den Tunnel verschwindet
der zum Busbahnhof führt
und einer Schenke
wo ein ukrainisches Klagelied
spielt

Übersetzung aus dem Ukrainischen: Ulrike Almut Sandig

junger Dichter


in bald zehn Jahren
seit ich der junge Dichter bin
hab ich jede Menge Gedichte geschrieben
aber ich bin der junge Dichter
ich fühl mich wie ein alter Mann
dabei bin ich der junge Dichter

wie viele Zigaretten hab ich geraucht
literweise Alkohol verbraucht
Hunderte von Auftritten gegeben
aber ich bin der junge Dichter

meine Gesundheit ist nicht mehr die alte
drei Präsidenten haben gewechselt
zwei Revolutionen stattgefunden
immer weniger Gedichte schreib ich
aber ich bin der junge Dichter

komisch
ich frage mich
warum sie nicht sagen
dies ist ein alter Dichter
aus ihm rieselt der Staub
aus ihm bröckelt Dichtung
zu Boden
seht her
was für ein
Furz
dieser erstaunlich
alte Dichter

lüftete längst
das entsetzliche Geheimnis
seiner ewigen
Jugend
weder plastische
Chirurgen
noch andere Ärzte
bewahren euch vor dem
Alter
Dichtung allein
Dichtung allein
konserviert
wie Gurken
die Jugend
Dichtung allein
Dichtung allein
stellt sich gegen die unaufhaltsame
Zeit

Übersetzung aus dem Ukrainischen: Ulrike Almut Sandig