Stellt sich heraus: Abenteuer mit der Polizei können auch ganz lustig sein. Aber um das herauszufinden, hab ich einige Anläufe gebraucht. Auch wenn das – ganz ehrlich – nie meine Absicht war.
Das war an einem von diesen heißen Sommertagen. Das Schicksal wollte es, dass ich in die Stadt gegangen bin, um ein Bier zu trinken und einen draufzumachen.
Es hat überhaupt nicht danach ausgesehen, dass irgendwas Schlimmes passiert. Aber wie’s in Uschhorod halt so kommt, hab ich in der Stadt ein paar Freunde getroffen, die ziemlich gut drauf waren, eine Flasche Whisky dabei hatten – und mich eingeladen haben.
Gegen elf Uhr abends war der Whisky dann alle, und mir ist klar geworden, dass es mir reicht und ich mich besser auf die Socken mache. Mein Kopf war immer noch klar wie ein strahlender Sonnentag, nur die Beine haben nicht mehr ganz mitgemacht, was das Geradegehen betrifft und so. Tja, so ist das Leben im Sommer halt.
Ein paar coole Tracks in meinen großen Kopfhörern, bin ich glücklich die dunkle Straße vom Uschhoroder Schloss runter. Aber dann hat sich das Schicksal noch mal gefügt: Mit dem ersten Schritt um die Kurve, auf den beleuchteten Fußweg, bin ich direkt im Sichtfeld von so einem großen Polizeiauto gelandet. Klar, die haben sofort angehalten. Abends ist das Viertel nämlich immer menschenleer, da schaut jeder Passant verdächtig aus.
Erst später hab ich gecheckt, dass die nicht nur deswegen angehalten haben.
Ausgestiegen sind zwei in schwarzer Uniform: so ein großer Typ mit Bart und eine sympathische junge Frau. Sie haben mich freundlich nach meinen Papieren gefragt, und ich hab sie ihnen freundlich gezeigt. An meinen Bewegungen haben sie gleich gemerkt, dass ich nicht mehr nüchtern bin, und gesagt, dass sie mir dafür einen Strafzettel ausstellen.
Ich hab ihn mir später durchgelesen: „… wegen Trunkenheit und starkem Alkoholgeruch, was eine Verletzung der Menschenwürde und einen Verstoß gegen die öffentliche Moral darstellt.“
Na gut, okay. Wie ein afghanisches Sprichwort besagt: Wenn dir eine Kuh gefällt, musst du auch ihren Schwanz mögen.
Ich hab gar nicht erst protestiert: Bringt nichts, kostet nur Nerven, und außerdem waren die beiden an sich total nett und freundlich. Und vor allem haben sie mir angeboten, meinen sündigen Leib nach Hause zu fahren, was mich voll gefreut hat. Deswegen war ich ja überhaupt losgezogen: damit der Tag ein schönes Happy End bekommt.
Erst viel später hab ich dann was ganz Wichtiges kapiert, was mir weder an dem Abend, noch am Tag danach aufgefallen ist: Wären das Bullen aus den Neunziger- oder Nullerjahren gewesen, hätt ich mich deutlich weniger über die Mitfahrgelegenheit gefreut, denn die hätten mich garantiert aufs Revier gebracht. Wo sie unschuldigen Bürgern den Glauben an die Menschheit rausprügeln.
Ich geh also mit der jungen Beamten auf den Rücksitz, der Bärige setzt sich ans Steuer, und neben ihm sitzt noch einer, nennen wir ihn „den Bartlosen“. Das Ganze kommt mir vor wie in einem Film über das Nachtleben von Uschhorod.
Wir fahren los. Auf einmal sagt der Bärige: „Lesen Sie uns doch was vor, während wir fahren.“
Und da wird mir klar: Dass die Streife überhaupt angehalten hat, ist wegen dem Bärtigen. Er hat mich erkannt und will sich mit mir unterhalten. Und wahrscheinlich hat er auch nur deswegen angeboten, mich nach Hause zu bringen.
Das ist aber noch nicht alles.
Natürlich lese ich denen jetzt nichts vor, sondern erzähle ihnen eine Geschichte aus einem meiner Bücher.
Und dann will ich ihnen noch eine Geschichte von meinem Freund Gleb erzählen – wie sie ihn mal, so um 2003 rum, im Zentrum auf der Fußgängerbrücke angehalten haben. Damals war das noch die gute alte Miliz, so zwei Typen. Wegen nichts natürlich, es war halt schon sehr spät, und vielleicht ist er auch nicht mehr ganz nüchtern auf den Beinen gewesen.
Papiere hat er keine dabeigehabt, also haben sie angefangen Druck zu machen, ihn zu verhören, ihn anzuschreien. Die Bullen sind damals ziemlich dreist gewesen, die haben gleich losgeprügelt, wenn man nur „Sie haben kein Recht …“ sagte – oder auch nur, wenn man keine Mütze aufhatte.
Gleb ist derzeit übrigens Kommandeur eines Militärtrupps im Gebiet Charkiw.
Jedenfalls sind die Bullen gerade mit ihm zugange, als sie plötzlich über Funk dringend woanders hin gerufen werden. Aber sie sind mit Gleb noch nicht fertig. Also haben sie ihn einfach blöd mit Handschellen am Brückengeländer festgemacht. Meinten, sie sind gleich wieder da, und sind abmarschiert. Gleb, der arme Kerl, hat zwei Stunden auf sie gewartet. Allein, mitten in der Nacht.
Die Geschichte mit Gleb hab ich aber gar nicht erzählen können, denn auf einmal hat die junge Polizistin, die gerade noch dabei war, auf ihrem Tablet meinen Strafzettel auszustellen, aus dem Fenster geblickt und zu ihren Kollegen gesagt: „He, schaut mal, da ist der Rote!“
„Stimmt, das ist er!“, hat der Bärtige gerufen. Und dann hat er Blaulicht und Sirene angemacht und Gas gegeben.
Und so hat die Verfolgungsjagd angefangen. Mitten auf der Hauptstraße.
Eine richtige Verfolgungsjagd der Polizei, einem kleinen roten Pkw hinterher, altes Modell, keine Ahnung, was für eine Marke. Ich hab richtig lachen müssen – so was hatte ich noch nie erlebt. Und ich hab mich sogar getraut, weil die so nett waren, zu fragen, wer das ist und warum sie ihn verfolgen.
Details haben sie mir nicht erklärt, aber gesagt, dass er ihnen heute schon mal entwischt war, über irgendwelche Seitenstraßen. Und jetzt war er ihnen rein zufällig wieder über den Weg gelaufen.
Was sie übrigens auch mir zu verdanken hatten: Hätt ich mich nämlich nur fünf Minuten später von meinen Freunden verabschiedet, wär ich zu Fuß heimgegangen – und sie hätten den roten Pkw verpasst, selbst wenn sie genau dieselbe Strecke gefahren wären.
Die Verfolgungsjagd ist dann ziemlich schnell zu Ende gewesen: Sie haben den Roten an den Straßenrand gedrängt, er ist stehengeblieben, und alle drei sind ausgestiegen, um sich mit ihm zu befassen. Wie in einem Film über das Nachtleben von Uschhorod.
Und ich bin ganz allein in dem großen Wagen für innere Angelegenheiten sitzengeblieben und hab vor mich hin gelacht. Wie ein kleiner Junge, den sein älterer Bruder mal in einem echten Polizeiauto mitfahren lässt.
Übrigens haben mir später Freunde gesagt, dass es ein Verstoß gegen die polizeilichen Dienstvorschriien ist, einen „Verhafteten“ nach Hause zu fahren und ihn allein in einem Dienstfahrzeug zu lassen. Ich bitte euch also, diese geheime Geschichte niemandem zu erzählen, sonst bekommen diese coolen Typen noch Probleme.
Erstaunlicherweise haben sie den roten Straftäter schon nach fünf Minuten abgefertigt. Für mich haben sie deutlich länger gebraucht.
Die junge Frau hat mir dann sogar die Kontoverbindung ausgedruckt, damit ich die Strafe online bezahlen kann und nicht zur Bank gehen muss. Da sieht man mal wieder, wie weit sich Technik und Kundenfreundlichkeit entwickelt haben! Hätt ich das meinem ans Brückengeländer gefesselten Freund Gleb Anfang der Nullerjahre erzählt, hätt er mich für meine blühende Fantasie ausgelacht und behauptet, ich rede von der holländischen Polizei.
Aber Moment, das ist noch nicht alles.
Schließlich kommen wir bei meinem Haus an. Ich bedanke mich herzlich für die Mitfahrgelegenheit und dass ich bei der Verfolgungsjagd dabei sein durfte. Aber dann sagt der Bärtige: „Können wir noch ein paar Fotos mit Ihnen machen?“
Der meint das völlig ernst.
Klar, können wir gern.
Die Fotos hat dann die junge Polizistin gemacht. Vor dem Dienst-SUV. Zum Glück hab ich noch rechtzeitig geschaltet und den Bärtigen (sorry, seinen Namen darf ich euch nicht verraten) gebeten, mir die Fotos als private Nachricht zu schicken. Zur Erinnerung. Er hat mich auch gleich auf Facebook gefunden und sie mir zugeschickt.
Noch vor unserer Zeitrechnung hat der römische Dichter Varro mal geschrieben: „Du weißt nicht, was der späte Abend bringt.“
Sorry, aber das ist immer noch nicht alles.
Ich hab doch die ganze Zeit meine großen blauen Kopfhörer um den Hals gehabt. Und als ich mich schon verabschiedet hatte, hat mich der bartlose Polizist auf dem Beifahrersitz durchs offene Fenster gefragt, was ich gerade so höre.
Keine Ahnung, was ich in dem Moment gehört hab, als sie mich angehalten haben. Aber die Frage hat mich an einen Journalisten erinnert, mit dem ich Kontakt hatte und der jetzt an der Front ist. Dem hab ich mal einfach so ein Lied geschickt, dass mir schon öfter geholfen hat, wenn’s mal nicht so lief. Der Song macht gute Laune und gibt einem eine Menge Energie, und die können wir jetzt alle gut
gebrauchen. Er ist von der Band Fugazi und heißt „Waiting Room“. Was ich dem Bartlosen auch so gesagt hab.
Der Bärtige hat das Lied dann gleich gegoogelt und auf seinem Handy abgespielt. Und so steh ich mit den Polizisten mitten in der Nacht auf meiner Straße, und wir hören gemeinsam eines meiner Lieblingslieder an.
Ich bin einfach nur glücklich.
Und irgendwann mitten im Lied sagt der Bartlose zu seinem Kollegen: „Alter, da stehst du doch voll drauf., oder?“
„Ja, ja, voll geil“, antwortet der Bärtige und nickt zum Rhythmus des Liedes.
Als der Song zu Ende ist, bedanke ich mich noch mal für den wunderbaren Abend, und wir verabschieden uns voneinander fast schon wie Freunde.
Wie ein afghanisches Sprichwort besagt: Gott ist stärker als ein Polizist.
P.S.: Die Strafe hab ich inzwischen bezahlt. Und mir dabei gedacht: 51 Hrywnja, das ist echt nicht viel für den ganzen Spaß. Sogar ein Taxi wär teurer gewesen. Außerdem hab ich Geleitschutz von der Polizei bekommen – und Erinnerungsfotos noch dazu. Kann ich euch zeigen.
Ich hoffe, das Lied gefällt euch auch.
Aus dem Russischen von David Drevs