Lithographien aus dem alten Stanislau

JURI ANDRUCHOWYTSCH

Serafini

Dass roher Pöbel glücklich lacht,
so brav wie duldsam, schier,
musst ihm einfach jede Nacht
in den Rachen kippen Bier,

biet ihm Gas und Lichterglimmer,
flackernd hinter blinder Scheibe,
gib ihm Obdach, Häuser, Zimmer —
in Kneipen, Grotten eine Bleibe,

Nachtasyle, Bäder und Bordelle,
wo’s stinkt nach Schwefel und nach Kalk,
Orchestrien und Karusselle —
im düstern Alltag schöner Schalk,

bring auch Fortschritt aufs Tapet:
Briketts aus unserm Ruhrgebiet!
(Herr Serafini war Prophet
von Karbidgeleucht und Stollentrieb…)

Er verlegte Pflaster zwischen Binsen,
hier starb man ohne Epitaphen!
(sechs Arme hatte Serafini,
wie die Flügel der Seraphen…)

Und wir suchen uns die Ketten,
uns sucht der dichte Nebel heim,
den groben Jahrmarktslehm zu glätten
im Garten seiner Gaukelei’n.

Auf ewig nah am Grabe
auf abgenutzten Bahren zieh’n,
dieses Wohlstands kranke Gabe
im Verband aus nassem Musselin,
so fallen wir in bleichen Reihen
zerschlag’nes Glas — im welken Grün…

Die aus den erhitzten Ziegeleien
in denen schon die Funken glüh’n…” 

 

Das Begräbnis des Gymnasiasten S. Hoszowski

1848

Am Himmel Geister. Darunter schwarze Schwären:
Ein Trauermarsch zieht stockend aus.
Freiheit war wohl nur Chimäre —
Büchsen und Gendarmen zwischen jedem Haus.

Es steht der Katafalk. Unfassbar schmerzlich —
ungeküsst sie in ihr Grab zu legen.
So spießig, bockig, störrisch, ruthenisch:
Hunde heulen, Heuchler allerwegen.

Ein Kranz vom Magistrat. Vom Gymnasium.
Verschlossen im Holz, im Finstern.
Welcher Despot, aus welchem Asien
opfert so schuldlose Kinder?!

(Das Weinen der Verlobten. Es fliegt, gleich wie
rote Daunen, der Zunder einer Litanei:)
„Er entschwebte auf göttlichen Flügeln,
es sprossen Rosen aus der blutigen Rohheit…”
„Diese Kugeln in den Bauch von Schülern—
erledigen die nackte Hoheit!”

„Wir ersehnten Rechte uns, Revolution —
zu zertrümmern Urteil, Welt und diesen Albtraum!”
„Da liegt er, erschossen wie zum Hohn,
vertreibt die Fliegen von des Gequälten Brau’n…”

„Und wer ist ihm Sirene und Helena?—
Schwester? Freiheit? Tod? oder Braut?”
„Freiheit oder Tod! Es ist Zeit!”
(Infanteristen betreten drüben die Arena).

„Dem jungfräulichen Mund ein Bittgebet!
dass unversehrt sie aufersteh’n, die Toten!..”
(Es zielen Bajonette in scharfen Linien.
Die Prozession platzt auf wie ein Knoten).

Sie. Gefor’ne Flüsse mag’rer Schultern,
in jeder Kehle Unrecht schneidend ätzt.
… die Kugel, die ihn auf ewig niederstreckte,
ist ausgekühlt schon, stumpf, hat sich zersetzt…

 

Katzenkonzert

Guten Abend, Dir, Herr Professor!
Dem Herrn Kreditor, traurige Ergebung!
Wenn der gelbe Mond den Himmel zerpflügt,
gischten wir aus den Livreen der Seele wie das Meer…

Wir hängen in den Bäumen — wir nächtigen Katzen,
im kreischenden Gekrös wiegen wir den Dämmer,
geformt aus Schwärze und Trübsal,
sind grünäugig wir, wie Mesmer…

Wir rufen von den Zweigen wie von schwarzen Türmen,
wir trommeln auf Laternen — aufjault die Posaune:
Nimm das für die Gnade, die du da nennst
Züchtigung und Knechtung von unserm Leib und Geist,
für die Brüder,
die erblinden in den Kerkern ohne Feuer,
für die Schwestern,
die an lasterhaften Toren ihre zarte Tugend lassen,
für Entsagung und für Liebe und für Lüge,
und auch dafür, was du bist: ein Patriot! —

Verehrte Fledermäuse, Käuze und fliegende Frösche!
Mit uns zusammen hüpft aus den Wipfeln
und jodelt Koloraturen und modelt Zäsuren
und krächzt und zischt und heult…

Herrschaften Haushexen und Erdschrate!
Fliegt auf aus Kaminen und Särgen,
träufelt in unsre Kehlen Sorgen und Freuden,
er möge doch umkehr’n, der Hurensohn —

Mißgeburten und Makaken,
Akademiker, Demikaker,
Kakadu!
Schneckenschleim im Schlafrock
das Monokel im Lokus
statt im Fokus
Hundsfott du…
garstige, verranzte Fliege
widerlicher Spitzel, mach die Biege!..

So hängen wir an den Zweigen — wir nächtigen Katzen,
unser Geschrei grausig und bös
Wir — die tiefsten Funken im Maul der Dunkelheit,
für uns hat noch kein Hahn drei Mal gekräht.

Ragt hoch auf, gold’ne kaiserliche Säulen!
(Kasernen, Kerker und Kakerlakenknäste.)
Und, gedenkt ihr auch der Hiebe auf den Rücken
der zerschlagenen Scheiben, der Worte an den Wänden?

Worte mit Kreide geschrieben: „Liebe” und „Friede”

 

Monolog einer Schaufensterpuppe aus der Gartenberg-Passage

Spitzen und Bordüren, Talmi und Buketts,
Mieder für die Damen, Schleier für die Witwen —
traurig ist es, Bruder, zu schimmern hier im Licht,
käme doch nur einer, der die Scheibe bricht…

Fräcke und Manschetten, Leder chagriniert,
rote Schminke, Bleiche, Buntes auf die Lippen —
traurig ist es, Schwester, mein Nacken nickt — scharniert,
ohne die Scharniere wären wir ein Paar…

Und hätt‘ ich Lungenflügel in der Brust aus Holz,
brüllt ich: Wollüst’ge Weiber— erzittert doch und heult!
Was steht ihr hier und glotzt? Flaneure seid ihr stolz!
Von uns ist wer die Puppe? Ihr doch wohl nicht! 

Aber ich bin still. Mit gradem Rücken wein‘ ich,
umwölkt von Pudermief und Melodramen —
traurig, Leute, zuzusehen: wie eine alte Mähre
betatschen sie, mit Scheinen wedelnd, gierig unsern Laden.

Kameen für den Busen, Kamelien für die Schläfen,
man schnüffelt an den Seelen wie an Stoff,
und den Liebreiz schleppt man verschnürt fort im Karton,
finster, wie im Walde, alle Blicke schroff.

Und es fliegt auf den Platz, wie Blütenstaub aus Ruß,
papierenes Geschwärm schwarzer Lotterien —
wie traurig, Gott, zu sehn — die Paradiespassage
hauch ein dem toten Holz einen neuen Menschengeist!..

 

Das Kaiserpanorama im Hotel zur Rose

Ehrenwerte Herr’n und Damen, Schleier züchtig auf den Köpfen,
haben Schwächen fürs Spektakel und für Jux,
schon sind sie nicht mehr zufrieden, mit dem Blick in fremde Töpfe,
durchs Binokel dem Fräulein Marta auf die Bux,

ihnen fehlt es jetzt an allem, eng der Himmel, klein die Plätze
hektisch späht man von nicht umwölkten Schanzen,
ist man doch bereits belesen, greift hinaus nach andern Schätzen
das „ Kaiserpanorama” verschob die Grenzen,

dort dreh’n sich auf weißen Schirmen Griechenland und Ozeane,
da — eine Gondel, da — Golgotha, da — Ganoven,
Matadore und Flagellanten, Pelikane und Vulkane,
schauderhafte Havarien und Katastrophen,

kultivierte Stadtbewohner, rüpelhafte Bauernrotten
und raffiniert inszenierte Lebensart:
Chinas Kaiser schlürft aus Tassen feinen Tee mit Bergamotten,
den Autokraten aller Russen juckt der Bart,

das ist billigstes Vergnügen: Geld und Laster, immer Drama,
niemand nimmt hier des Erlösers Leib und Seele —
auf der Welt lebst du nur einmal — blick sie an im Panorama,
und das Leben streu, wie Asche, auf die Dielen!..

Glaub doch nicht, es paradieren Eruptionen, Kanonaden,
Marseillaisen, Warschawjankas nur hinterm Glas.
Zeit des Aufstands, der Missachtung? So baut sie sich Barrikaden:
In Nachtasylen rüttelt sie die Vergess’nen wach !..

Bomben könnten explodieren, mitten in Komfort und Glanz,
in den Suiten, den Passagen, den Manegen—
und zerhau’n in tausend Scherben Schwelgerei im Mummenschanz,
und am Morgen weh’n die Fahnen auf der Schanz.

  

Unteriridisches Lied der Hauslosen

Steinernes Hemd der Welt. Wie bist du kalt!
Da gehen sie hin, wie in eine Klause.
Die Hauslosen haben geheime Korridore und Salons:
Es glimmt ein Strahl, wie ein feuchter Stalaktit.
Er ist ihnen Himmel und Erde und Abweg —
im Leben unter Knochen und leeren Flaschen.

Oh erlesene Gesellschaft — dunkle Welt des Gesindels:
Spinner, Scharlatane und Spieler.
Und die gefallene Weiblichkeit, diese Trottoir-Astern,
die ihr Los im Morgendämmer aufzieh’n sah’n.
Und überall die Dämmerseelen vogelfreier Bankerte,
und die elenden Selbstgedrehten, glimmend in den Mündern.

Nur — höher, höher, höher — sind Abende gepflegt gedämpft
mit Elektrik, Fräuleins und Foxtrott,
sind Konzerte für gute Zwecke und trunken der Abgrund des Markts,
da quellen vor Fülle die Auslagen schier über.
Und blaues Gas flammt da auf heißen Herden,
und ganz andere Kinder fliegen —

mit Flügeln auf den Schultern.

Nur — tiefer, tiefer, tiefer — Schutt und Asche,
Schatten von Krügen, modrige Lumpen, geronnene Zeit.
Uralt ist der Weg, keinesfalls doch der nächste —
du dringst nicht durch, wie auch die Kehle schreit.
Die Stimme tönt, wie in Watte, nur in der ziegelsteinernen Brust,
und das kalte Totenglöckchen der Wässer verhallt in der Tiefe.

 Nur die Kinder hören mehr: Da sprießt das Grün,
es bricht sich Bahn in die Stadt von unter der Erde.
Es geht das Leben in den Frühling, krank und irr,
mit Tauben und Greifen im Hintergrund.
Der Tag ersehnt das Licht, wie ein gespannter Bogen,
und es ersteh’n die künftigen Posaunen

aus unterirdischen Armen…

 

Die Eisenbahn Stanislau – Rachiv 1894

Hier sprudeln keine Quellen, hier wachsen keine Erdbeeren an,
wir rackern hier und auf uns rast die Eisenbahn.

Hier wuchern aller Orten Verwünschungen und Hohn,
welcher Luzifer verfügte, dass wir diesen Felsen drohn?

Wälder fallen hinter uns, der dünnste Halm zerbricht,
die eiserne Jungfrau raubte uns, vertilgte unser Augenlicht.

Kneipenwirte kriechen nach, anhänglich wie Geschmeiß,
auf unsern Lidern Blütenstaub und salzig krustend Schweiß.

Am Horizont das Paradies — darauf vertrauen wir wacker,
auf jeder Meile hinter uns ein kleiner Gottesacker.

Hinein nur in die Erde, heißt’s, sonst droht das Bajonett,
und bezwingen das Gebirge als sei es nur Skelett.

Dort kappen unsere Adern Schluchten, Höhn und Grenzen,
in den Weibern stirbt das Licht, die sich für uns bekränzen.

Der Felsen Leiber bersten, die Sonne schwimmt in Bächen,
als wir mit Ellenbogen aus dem ew’gen Tunnel brechen, 

wenn wir die Hände legen auf die noch warmen Zacken,
spielen für uns aus den Himmeln Pauken auf und Hacken:

Vielleicht schwebt als freier Vogel — die grüne Lokomotive
..über zerschlag’ne Knochen, über Muskeln und Bergmassive! 

Übersetzung aus dem Ukrainischen: Beatrix Kersten