Mariupol Gedichte

Noemi Schneider

Im Nachtzug nach Mariupol
 
Taktloses
Rattern
im DDR-Luxusabteil.

Die verdreckten Fenster lassen sich nicht öffnen
wegen der Klimaanlage,
die ist
außer Funktion.
Wir
wälzen uns
schwitzend
auf unseren weichen Pritschen
und balancieren
Pappbecher in der Hand,
billige Zigaretten im Maul
zwischen den Wagons
hin und her.
Zerdeppern die Weinflasche
aus Versehen
werfen die Kippen
durch den Luftspalt
auf die
Gleise
schwanken zurück ins Abteil
schaukeln durch die Steppe
600 Kilometer in 12 Stunden
und trinken
schwarzen Tee aus Gläsern 

im Sonnenaufgang.


 
Mariupol
 
Im Meer soll man nicht baden.
Die Luft besser nicht einatmen.
Platanen rauschen im sauren Regen.
Die Vögel sind fort.
Im Stahlwerk fliegen Funken.
Was tun?
Gedichte in den Sand spucken.
Und auf bessere Zeiten hoffen.

 

Dichtertreffen I
 
Nach Worten suchen
verwerfen
weiter suchen.
Weiter werfen.
 


Dichtertreffen II
 
Am Boden klebt Blut.
Vor zwei Wochen gab es hier
einen Überfall.
Vor der Tür halten
Polizisten Wache.
Was machen wir hier?
Gedichte lesen.
Davon werden die Schlaglöcher nicht weniger,
die Luft nicht besser,
die Zigaretten nicht billiger,
hört der Krieg nicht auf.

Ja, aber


 

Was macht der Krieg?
 
Der Krieg
macht
was
mit
den
Menschen.

 

Am Strand
 
tun wir so
als ob
wir in Odessa wären.
Der Professor
zieht die Schuhe aus
krempelt die
Leinenhose hoch
und teilt die silbernen Fluten.