Fifty Shades of Gray

Noemi Schneider

„Ich geb dem noch schnell was.“ Die Baronesse dreht sich um.
„Wieso?“
„Der sieht so traurig aus.“ Sie stöckelt dem alten Mann mit dem Pappbecher in der
Hand hinterher. Du holst dir noch ne Tortilla und wartest vergeblich auf ihre
Rückkehr. Sie hat sich in einen Souvenirshop verirrt, wie immer.
„Alles Schrott“, beurteilt sie mit Kennermiene Miniaturkacheln in einem Holzregal.
„Handmade“, behauptet die Chinesin an der Kasse. Die Baronesse checkt die
Wetterprognose. Ihr seid seit sechs Wochen auf der Flucht.
„Unterwegs“, korrigiert die Baronesse. Baronessen fliehen nicht.
Okay. Ihr tut so, als ob ihr Urlaub macht, und bewegt euch langsam Richtung
Meer.

Als erstes verschwanden die Vögel. Über Nacht kam der Nebel. Ein durchsichtiger
Schleier, der sich fast unmerklich tübte, wie wenn man langsam Milch ins Wasser
gießt. Windstille.

Cool Gray One. Jahreszeit, Vogelgrippe. Klang plausibel. Kam der Baronesse aber
sofort spanisch vor. Sie ging mit nem Meteorologen ins Bett, um Gewissheit zu
haben: „Noch drei Monate, dann ist’s stockduster, aber das hast du nicht von mir“,
röchelte er. Sie verscherbelte ihr Palais für Millionen, ein Insidergeschäft, wenn es
je eines gab, und verkündete: „Lass uns verreisen!“
Es fiel dir schwer, dich zu entscheiden. Was nimmt man mit, wenn man weiß, dass
man nie mehr zurückkehrt? Was zum Anziehen. Parfüm. Bücher. IPod. Laptop.
Nen Glücksbringer. Desinfektionstücher. Magnesium. Max musstest du leider
zurücklassen.

Du hast gesagt: „Schmeiß hin! Nimm Urlaub!“
„Nicht jetzt. Läuft grad so gut.“
„Ich liebe dich, komm mit!“, hast du ihn angefleht, obwohl das sonst nicht deine
Art ist.
„Jetzt spinn dich mal aus“, hat er gesagt, „das bisschen Nebel. Ich will das Spiel zu
Ende sehen. Lass uns im Frühling fahren!“
„Dann ist es zu spät. Begreifst du das nicht?“
„Reg dich ab. Und geh mal aus dem Bild, bitte!“
Du bist raus auf den Balkon, hast eine geraucht und in den verschissenen Himmel
geschaut. Das war’s. Die Baronesse sagt immer, die Liebe ist kein Ponyhof.

Cool Gray Two. Du nimmst den Zug über Paris nach Barcelona. Bist nen Tag
früher da, die Baronesse ist noch in der Schweiz, um das Unbürokratische zu
regeln. Gefälschte Papiere, Urkunden, die Überfahrt, nen Riad mit Meerblick für
euer Leben. Danach. Über dir vögeln die Nachbarn, als wär nichts. Vor den
Müllcontainern am Ende der Straße liegen zwei kaputte Plastikpuppenhäuser. Am
Morgen sind sie weg.
Die Baronesse ist ein bisschen blass um die Nase, als sie ankommt. Der Flieger hat
fünfmal versucht zu landen. Ihr Koffer hat eine kaputte Rolle.
„Wieso schmeißt du den nicht weg und kaufst dir n’ Neuen?“
„Spinnst du?“ Das sagt sie immer. „Das ist Handarbeit.“ Sie zieht ächzend dreißig
Kilo Klamotten hinter sich her und bleibt vor Massimo Dutti stehen.
„Ich muss da nur mal kurz rein.“
Zara, Uterqüe, Max & Co, Tezenis, H&M, Mango, Cos, Tiger und Longchamp
sind direkt daneben.
„Was meinst du?“
Sie streckt dir zwei identische Portemonnaies aus Krokodilleder entgegen. Du
kannst keinen Unterschied erkennen. Die Straßenhändler werfen funkelnde Bälle in
die Luft und stellen Spielzeugpanzer und Soldaten vor euch auf. Abseits der
Einkaufsstraße stinkt es nach Pisse, im Innenhof der Nationalbibliothek stehen
Punks um einen brennenden Mülleimer rum, vor der Kathedrale schlagen die
Brasilianer Saltos.
Im Camp Nou sitzt ihr auf den teuersten Plätzen, ganz nah am Spielfeld, es ist
nicht viel zu erkennen, aber es geht grade noch so. Nebelkicken. Barca verliert. Mal
ist man der Baum, mal der Hund, sagt die Baronesse immer.

Cool Gray Three. Der Flugverkehr wurde eingestellt. Ihr nehmt den Zug Richtung
Süden. Den Mönchsittichen hinterher. Gott sitzt in der Wartehalle am Bahnhof
und spielt Backgammon gegen sich selbst.
„Ihr seid spät dran“, sagt er.
„Ach Gott“, sagt die Baronesse, „jetzt stress nicht so.“
„Wo fährst du hin?“
„Finisterre“, sagt Gott.
„Falsche Richtung“, sagt die Baronesse.
„Und wenn schon“, sagt Gott.
Ihr trinkt Vermouth im Speisewagen und spielt Sudoku.
„Was für Bücher hast du dabei?“, fragt die Baronesse.
Den letzten Walser, Krieg und Frieden, die Topologie der Gewalt von Byung-Chul Han.
„Lauter alte Männer.“
„Stimmt. Und du?“
Die Baronesse kramt in ihrer Handtasche rum. Sonja Vukovic, Gegessen.
„Wieso liest du so n’ Scheiß?“
„Die war bei Lanz, klang interessant. Otro vermouth, por favor!“

Ihr kennt euch seit der Schulzeit, die Baronesse und du. Wart zusammen auf dem
Internat mit dem guten Ruf. Wurdet Freunde fürs Leben an einem Samstag im
Februar. Sonnig war’s und arschkalt und auf den elysischen Feldern lag Schnee. Ihr
standet im Bad und habt Zähne geputzt. Es war halb acht. Wie immer ging Mary
an euch vorbei, um Hanni und Nanni zu wecken. Samstags war Schule im Internat,
dafür waren die Ferien länger. Mary ging vorbei, dann kam sie zurück, blieb im
Türrahmen stehen und sagte: „Die Malina hat sich umgebraaacht.“ Mary war
Amerikanerin.
Ihr seid die Treppe runtergerannt, in den ersten Stock, wo Malina wohnte. Die
Treppe hatte so einen grauen Wollteppichbezug. Auf dem Gang standen die
anderen in ihren Schlafanzügen. Malinas Tür war zu. An der Tür klebte ihr letztes
Bild: eine kotzende Malina-Karikatur vor dem Internat, aus ihrem Bauch kamen die
Eingeweide raus. Mir gefällt’s hier, stand drunter.
Malina kam mit zwölf aufs Internat. Ihre Mutter war nach Australien ausgewandert,
ohne ihr zu sagen, wer ihr Vater war. Malina wuchs bei ihren Großeltern auf, später
wurde Mary ihr Mutterersatz. Malina schrieb nur Einsen, rauchte, seit sie dreizehn
war, selbstgedrehte Zigaretten, spielte Gitarre, hatte lange dunkelbraune Haare bis zur Hüfte und grau-grüne Augen. Ihr Zimmer sah aus wie ein Beduinenzelt. Mit
orientalischen Teppichen, großen Kissen, silbernen Tabletts und Traumfängern
vorm Fenster. Wer in Malinas Zimmer eingeladen wurde, kriegte Tee aus dem
Samowar und durfte mit ihr kiffen.
Du hast viele Menschen getroffen und wieder vergessen, aber Malina siehst du vor
dir, als wär’s gestern gewesen, obwohl du kein einziges Foto von ihr hast und sie
seit siebzehn Jahren tot ist.
Im Oktober lief sie für nen Musikclip der Video AG über eine Wiese. Sie trug
einen dunkelbraunen Wildledermantel mit Fellkragen, wie ne Hippieprinzessin oder
ne Waldfee mit Blättern im Haar. Sie sah super aus. Die Premiere war im
Dezember. Im Januar war sie komisch drauf. Rannte durchs Haus und schrie, dass
sie alle umbringen will.
„Ich richte ein Blutbad an!“, schrie sie.
Und ihre grau-grünen Augen leuchteten so irre.
Das kommt von den Pilzen, habt ihr gedacht, oder vom LSD.

Malinas Beerdigung fand ohne euch statt. Ihr Zimmer stand zuerst leer, nach dem
Sommer ist ne magersüchtige Walddorfschülerin eingezogen. Und alle haben so
getan, als hätte es Malina nie gegeben.
Damals hast du dir geschworen, dass du irgendwann allen von ihr erzählen wirst,
damit alle wissen, dass es sie gegeben hat.

„Ich würd trotzdem gern was klarstellen“, sagt die Baronesse.
„Was?“
„Ich stand nicht neben dir im Bad, ich stand noch nie in dem Bad, wieso
behauptest du das?“
„Das ist doch irrelevant.“
„Ich war zu Hause und wusste von nichts, bis der Anruf kam.“
„Das klingt umständlich.“
„Was?“
„Na, dass du auf dem Internat warst, aber zu Hause gewohnt hast.“
„Das heißt extern“, sagt die Baronesse.
„Das lenkt vom Thema ab.“
„Wieso hast du sie Malina genannt?“
„Ich finde, Malina passt zu ihr.“
„Find ich nicht“, sagt die Baronesse.
„Ich hab’s mit allen möglichen Namen probiert, zum Beispiel Anna.“
„Anna passt auch nicht.“
„Eben.“
„Aber da werden doch alle drauf rumhacken, wenn du sie Malina nennst, da kannst
du sie genauso gut Anna Karenina nennen.“
„Das sind zwei Namen.“
„Wieso nicht Marion?“
„Nee.“
„Oder Natascha?“
„Wieso denn Natascha?“
„Keine Ahnung, wieso Malina?“
„Ich kenn keine Malina, deshalb hab ich sie so genannt.“
„Ich kenn auch keine Malina“, sagt die Baronesse.
„Na also.“
„Das wir Freunde wurden an dem Tag, das stimmt.“
„Ja.“
„Ich hab dich vom Bahnhof abgeholt. Dann sind wir ins Kino gegangen.“
„Ja.“
„Wie hieß der Film noch mal?“
„Lake Placid – Der Schrecken aus der Tiefe.“
„Das war n’ Scheißfilm.“
„Ja.“

„Wir hätten es verhindern müssen.“
„Wir hätten es nicht verhindern können“, sagt die Baronesse.
„Sonst noch was?“
„Nee, obwohl, also grundsätzlich betrachtet“ – die Baronesse legt die Stirn in
Falten – „finde ich, du hättest auch was anderes erzählen können. Was Lustiges
zum Beispiel. Das irgendwie unvermittelt kommt und komplett aus der
Rahmenhandlung fällt, findste nicht?“
„Ich bin die Autorin.“
„Okay, okay.“ Die Baronesse vertieft sich in die Gala-App und summt „Where
Have All the Flowers Gone“. 

Cool Gray Four. Massenkarambolagen auf den Straßen. Ihr schlendert durch die
verwaisten Paläste und Gärten mit Audioguides im Ohr. Bewundert die maurischen
Mosaike. Könnt euch nicht sattsehen. Nur die Aussicht lässt zu wünschen übrig,
und es wird von Tag zu Tag kühler. Was hat der Emir bloß im November
gemacht?
Der Yogi vor dem Supermarkt schwört auf die innere Erleuchtung.
„Spürst du, wie sich jede Zelle deines Körpers erwärmt?“, säuselt er.
„Nee“, sagt die Baronesse.
Ihr tunkt Churros in heiße Schokolade und trinkt Montilla, bis ihr nicht mehr
könnt. Dann steigt ihr die Stufen hoch zu euern Zimmern, raucht ein bisschen von
dem Stoff aus Marokko, schreibt Postkarten an Freunde, Bekannte und Familie. Im
Fernsehen läuft ne Telenovela. Die Baronesse whatsappt mit einer ihrer
Patientinnen. Wegen der Sache mit Malina ist sie Psychiaterin geworden.
„Kannst du die Arbeit nicht mal zu Hause lassen?“
„Es geht um Leben und Tod!“
„Als ob das jetzt noch ne Rolle spielt.“
Die Baronesse ruft den Bruder ihrer Patientin an, der ist auf dem Weg zu seiner
Schwester. So viel Zeit muss sein, sagt die Baronesse immer.

Cool Gray Five. Selfies mit Maimonides. Ihr steht auf der steinernen Brücke mit
den sechzehn Bögen im Nebel und twittert nach Hause #happy. Besucht die Messe
in der Kirche in der Meszquita und ne Flamenco-Show. Die Touristen in den
Teestuben warten auf besseres Wetter. Im Live-Ticker werden die Grauwerte
aktualisiert. Bis sie schwarz werden, sagt die Baronesse immer.

Cool Gray Six. In Picassos Geburtsstadt warten alle drauf, dass der
Lichterbaldachin über der Einkaufsmeile angeschaltet wird und bringen ihre
Smartphones in Position. Aus den Boxen dröhnt „Last Christmas“, die Lichter
blinken im Takt. Black Friday, fünfzig Prozent Rabatt. Die Baronesse will ins
Museum und klemmt sich ein Spätwerk unter den Arm. Was du heute kannst
besorgen.

Cool Gray Seven.
„Wir laufen schon wieder in die falsche Richtung.“ Die Baronesse wischt auf ihrem
Smartphone rum. Das GPS funktioniert nicht mehr. Du ziehst den Stadtplan aus
der Tasche und versuchst dich zu orientieren. Vor dem Glockenturm neben der
Kathedrale sitzt der Revolutionär.
„Bleibst du hier?“, fragt die Baronesse erstaunt.
„Die Revolution braucht mich!“
„Tot nutzt du der Revolution nichts“, sagt die Baronesse.
„Hasta la victoria siempre!“ Der Revolutionär schaltet seine Stirnlampe ein.
Die Baronesse will das Grab von Kolumbus sehen. Ihr geht rein. In einer
Seitenkapelle wird Hochzeit gefeiert. Manchmal denkst du an Max, der sich seit
eurer Abreise nicht gemeldet hat. Ob Kolumbus wirklich hier liegt, darüber gehen
die Meinungen auseinander. Ihr steigt den Glockenturm rauf und guckt über die
Stadt, aber es nichts zu sehen außer grauer Suppe.
„Wir sollten uns langsam beeilen“, sagst du.
„Ich brauch noch Schuhe!“
Du stehst vor dem Laden und rauchst, während die Baronesse anprobiert.
Ein Mann mit Mütze steht auf der anderen Straßenseite. Sieht ganz gut aus. Wartet
wahrscheinlich auch auf jemanden. Kommt rüber, fragt dich nach ner Zigarette.
Du gibst ihm eine. Er kehrt zurück auf seinen Platz. Zwinkert dir zu. Ob er
Bescheid weiß?
Die Baronesse kommt raus, sie hat sich fünf Paar bis morgen zurücklegen lassen.
Du kannst keine Tapas mehr sehen. Ihr geht italienisch essen und dann ins Ballett.
Spartacus. Eile mit Weile.

Cool Gray Eight. In Gibraltar gebt ihr den Affen Zucker und stehlt zwei Pferde.
Der Zugverkehr wurde eingestellt. Ihr stolpert hinter den Pferden her. Jeder Gang
macht schlank, sagt die Baronesse immer.

Cool Gray Nine. Der Hafenmeister fragt, ob euch jemand ins Gehirn geschissen
hat: „Bei dem Wetter wollt ihr raus? Seid ihr Lebensmüde? Und die Pferde bleiben
hier.“
„Die Pferde kommen mit.“
Die Baronesse startet den Motor. Ihr tastet euch langsam voran, ins bleierne
Nichts. Der Nebel wird dichter. Wer zu spät kommt, den –

Cool Gray Ten. Im Niemandsland. Zwischen den Kontinenten. Die Baronesse hält
Kurs und beginnt zu singen: „Freude schöner Götterfunken …“ Du singst mit, alle
Strophen. Dann kriegst du es mit der Angst zu tun. Euer Atem gefriert und fällt ins
Wasser. Das war ne Scheißidee. Aber wenn man denkt, es geht nicht mehr, kommt
von irgendwo ein Lichtlein her, sagt die Baronesse immer.
Irgendwann beginnt es in der Ferne zu schimmern. Es blendet und brennt in den
Augen. Tränenblind steuert ihr darauf zu. Am anderen Ufer scheint die Sonne, als
ob nichts wär. Die Luft ist klar. Der Himmel blau.
„Sie sind spät dran, Baronesse.“ Ein Einheimischer vertäut die Jacht.
„Ich mag Abschiede nicht, kann mich immer so schwer trennen, das wissen Sie
doch.“ Die Baronesse checkt ihr Gesicht im Spiegel.
„Das waren die Letzten“, brüllt jemand durchs Megaphon. Ihr schaut mit
blutunterlaufenen Augen zurück, aber es ist nichts zu sehen außer einer
schiefergrauen Nebelfront am Horizont. Cool Gray Eleven. Es gibt kein zurück.
Schwankend betretet ihr festen Boden und sucht in euren Handtaschen nach den
Sonnenbrillen.
„Hi“, sagt der Mann mit der Mütze und zwinkert dir zu.
„Hi“, sagst du.
Die Baronesse guckt irritiert.
„Ihr kennt euch?“
„Aus Sevilla“, sagst du.
Die Baronesse gibt dem Taxifahrer die Adresse durch, verschwindet sofort im Bad
und beginnt, sich wie gewohnt zu stylen und ihre Nägel zu lackieren. Dann geht ihr
shoppen, schließt neue Bekanntschaften, organisiert euren Alltag, sitzt in Cafés und
auf Dachterrassen, galoppiert am Strand entlang, meldet euch zum Fitness an,
spielt Stadt, Land, Schauspieler.
„Paul Newman.“
„Woran ist der gestorben?“
„Wieso willst du das wissen?“
„Jetzt sag schon.“
„Lungenkrebs.“ Die Baronesse steckt sich eine Gitanes an und nimmt einen tiefen
Zug.
„Wir sollten aufhören“, sagt sie und bläst Kringel in die Luft.
„Wieso, wenn wir unsterblich sind?“
„Zu teuer.“

Abends nach den Partys guckt ihr Untergangs-TV. Drüben gehen nach und nach
die Lichter aus. Die Luft wird dünner. Die Mächtigen pusten Lachgas in die
Atmosphäre, damit’s nicht so weh tut. Experten und Politiker spekulieren,
mutmaßen, beschwören, vertrösten, beschuldigen. Cool Gray Forty Four. Siebzig
Prozent Schwarz. Die Stimmung kippt. Panik breitet sich aus. Die Leute schlachten
sich gegenseitig ab für ein bisschen Licht. Gerüchte verbreiten sich. Es gibt eine
Stelle, von der aus man ganz in der Ferne einen hellen Schein sehen kann. Von der
Meerenge. Da wollen jetzt alle hin, wie die Motten. Mit Flugzeugen und Schiffen,
sie stürzen ab, gehen unter. Nach Luft schnappende Millionen stehen am anderen
Ufer. Versuchen zu schwimmen. Die Kameras halten drauf. Ab und zu gibt’s ne
Live-Schalte zu Gott nach Finisterre, der bewahrt Haltung, immerhin. Cool Gray
Forty Seven. Achtzig Prozent Schwarz.
„Können wir nicht irgendwas tun?“
„Da beißt die Maus keinen Faden ab“, sagt die Baronesse.

An euerm Ufer werden täglich Zehntausende angespült. Es gibt keine
Überlebenden. Ihr wollt sie begraben.
„Die kontaminieren das Grundwasser“, schimpfen die Einheimischen. Also
verbrennt ihr sie.
Max ruft an: „Hilf mir! Ich will zurück auf Start.“
Du denkst an das Scheißspiel, es bricht dir das Herz. Du wirfst dein Telefon weg,
machst den Fernseher aus und fängst an zu malen. Jede Woche eine neue Welt.
Cool Gray Forty Nine. Achtundneunzig Prozent Schwarz.
„Morgen ist Schluss“, sagt die Baronesse.
Letzter Akt. Am Strand. Ihr sitzt in euren Liegestühlen, trinkt Caipirinha und guckt
rüber.
Vor euch.
Das blutgetränkte Meer.
Dahinter.
Zum ersten und letzten Mal.
Hebt sich der Vorhang.
Im Abglanz.
Wie ne Fata Morgana.
Taucht’s noch mal auf.
Und dann.
Verschwindet es einfach.
Wird durchsichtig.
Wie Glas.
Und.
Wie bei ner großen Show klatschen und johlen die anderen neben euch.
„Exceptionnel, magnifique, schade drum!“

„Und was machen wir jetzt?“
„A …“

„Stopp!“
„A.“

Die Baronesse sagt immer, jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.