„Als ich ging“ – Gedichte

Oksana Stomina

FURCHTBAR
Furchtbar, darüber zu schreiben. Reimen ist wie über einen Haufen
Heißer Asche wieder und wieder zu laufen,
Als würde ich sie in der Hand halten bis zum Verderben,
Als würde ich mit ihnen in Gefangenschaft sterben
Als wäre ich eine von denen, die immer noch suchen,
Belagert, im Graben, im Sarg und im Bunker,
Als wäre ich der letzte Arzt im Spital
Oder die Mutter eines Sohnes in „Asowstal“,
Unter Trümmern lebendig begraben worden...
Um darüber zu schreiben, reichen keine Worte!
Um darüber zu schreiben, reicht noch nicht mal ein Herz.
Um darüber zu schreiben, gibt es nur Hass und Schmerz!
Es kommen nur schlechte Gedichte in den Sinn mir.
Nur sehr schlechte. Und es wird nur noch schlimmer...

ALS ICH GING
Als ich ging, fielen keine Sterne vom Himmel herab.
Der Gedanke daran ist bitter und messerscharf.
Ich weiß, mein Mariupol, auch Jahre danach
Bleibt der Schmerz.
Ob ich will oder nicht, selbst im nächsten Leben
Wird das unheilbare Gefühl nicht vergehen.
Was von mir ist in dir erhalten geblieben?
Nur mein Herz.

Was von mir ist in dir geblieben? Nur mein Haus.
In meinen Augen brennt der Verzweiflung schwarzer Rauch...
So viel Wasser ist anscheinend in mir und auch
So viel Qual!
So viel Erinnerung! Und ob du es glaubst
Jede deiner Straßen führt zu meinem Haus
Und wie immer geht meine Sonne auf
Über „Asowstal“.

Deinen letzten Blick, deinen letzten Seufzer
Trage ich nun mit mir wie ein Kreuz
Deinen Morgentau weine ich nun und träume
Jede Nacht.
Was von mir ist in dir geblieben? Nur ich.
Du bist mein Leuchtturm, ein Strahl von unlöschbarem Licht!
Meine Seele, ich komme wieder, vermisse mich nicht
Marias Stadt!

ENTE
Gewidmet denen, die in ihren eigenen Siedlungen sterben mussten…

Langsam fließt der Morgen vom düsteren Himmel.
Das Haus gegenüber ist klaffend verstümmelt.
Und die Sonne scheint hierher durch seine Wunde
Ratlos sehe ich den Albtraum und keine Sekunde
Kann ich glauben, dass das, was ich sehe, real ist.
Über dem Haus gegenüber „schwimmt eine Ente“ verzweifelt…

Man hat dem Haus in die Brust gezielt, nicht verschont.
Eben haben hier noch verschiedene Menschen gewohnt,
Überraschend lebendig, normal. Sogar glücklich.
Also brich mir nicht das Herz, Ente, verdrück dich!
Hier wohnten Menschen, die unschuldig geblieben
Lass über dem Haus ihre Seelen doch fliegen!
Verräterischer Vogel, verdeck nicht die Himmelsweiten!
Zu spät, die Flügel über ihrem Dach auszubreiten!

*Es schwimmt eine Ente (Plyne Katscha) ist ein ukrainisches traditionelles Trauerlied, das seit 2014 zu einer Art Hymne des Kampfes für die Unabhängigkeit der Ukraine geworden ist.

VOR DEM MORGENGRAUEN
Irgendwo mitten im Frühling, zwischen Tag und Nacht,
Bevor ich angekommen und die Augen aufgemacht
Versuche ich, mich zu erinnern, wo ich heute erwache
Und was mich so einsam und heimatlos macht.

Ich verstehe, der Krieg ist kein Traum, kein Gespinst.
Frage Gott kurz, wofür wir diese Strafe verdient,
Und wieder ohne Antwort von ihm zu erhalten,
Stehe ich auf. Wie auf Eis auf dem Boden gleitend

Der wie Glas knackt unter der Last meines Grams.
Wo bin ich unterwegs, wo komme ich heute an
Ist mir ganz egal und ist nicht meine Sorge,
Dagegen hilft auch kein Kaffee am Morgen,
So gibt es zum Frühstück nur Nachrichten täglich.
Ich lese sie und bekomme nur die Hälfte bewältigt.

Sumy und Odesa, Winnytsja und Charkiw…
Gott, siehst du alles von oben? Nun sag‘s mir?
Warum stoppst du den feindlich Aufmarsch nicht sofort?
Der Teufel ist doch nicht größer als du, oder, Gott??
Wo magst du nur sein?? Hör zu, Herr, sag schon was!
Raketen haben nun Flügel, wusstest du das??
Geflügelte Raketen! Die gibt es. Wie Vögel.
Sie fliegen nach Hause zu uns und sie töten.
Einfach so! Die Alten, die Großen, die Kleinen…
Sie können am Morgen oder Abend erscheinen,
Manchmal auch mittags oder schon in der Nacht…
Dafür hast du, Vater, doch nicht die Flügel erdacht?

Ich höre zu, wie zwischen den Rippen was schlägt.
Versuche, zu entspannen. Es geht nur nicht weg.
Bürste die grauen Haare, betrachte all meine Fältchen.
Verzeih mir, Gott, denn der Krieg ist nun meine Welt.

MEIN LIEBES ZUHAUSE…     
Die Treue der Vögel zu ihrer Heimat nennt man „Philopatrie“.
Gewidmet denen, die gezwungen waren, zu flüchten…

Meine liebe Festung, mein liebes Zuhause…
Wo bist du jetzt? Wie ist es dir ergangen?
Wer atmet dort, wer lacht in deinen Mauern,
Wer ist dabei, mein Herzensgut zu klauen
Und probiert das Glück meines Alltags an?

Wer ist es, der all meine Fotos entsorgt
Und aus den Regalen die Kinderzeichnungen nimmt?
Weil nach dem Leugnen die Zeit des Schmerzes beginnt
Hat der sich durchdringend, mit Heimweh getränkt
Schwer drückend sich auf meine Schultern gesenkt.
Doch meine Seele, die zieht es zu dir nach wie vor.

Doch die Seele, ein Vogel, treu und so fleißig
Zieht stur über dem löchrigen Dach seine Kreise
Wie über einem zerstörten Nest. Auf welche Weise
Bekam er, zart wie er ist, die Ausdauer
Und Fähigkeit, bis zum Schluss noch zu glauben?
Mein kleiner Vogel, lass dir die Flügel nicht rauben
Und deine Fähigkeit, nach Hause zu reisen.

SONNENBLUME
Briefe in die Gefangenschaft
Meinem Mann Dmytro Paskalow und allen von uns, die noch in Gefangenschaft sind, gewidmet…

Es ist, Geliebter, als hätte sich die Erde zwischen uns geteilt…
Als würde ich im September und du im Februar noch verweilen.
Laut vergehen die Tage, Menschen, Warnungen überall,
Enttäuschungen, Verzweiflung und was es alles gibt…
Doch das gläserne „ins Nirgends“ ist zwischen uns erhalten,
Und ich spüre, wie zerbrechlich es doch ist.

Viel zu lang und viel zu schmerzhaft ist der Weg,
Viel zu groß die Entfernung, ein Boden, der bebt,
Doch stur beschwöre ich dich weiter– du lebst,
Stur küsse ich deine traurigen Augen und flehe
Zu Gott, schon ewig spreche ich das gleiche Gebet,
Er möge in diesem Krieg auf unserer Seite stehen.

Die Entfernung zu dir wird in schlaflosen Nächten gezählt
In jedem grauen Haar, jeder Narbe, die das Herz entstellt.
Die Sonnenblume der Hoffnung streckt sich zum Himmelszelt
Nach wie vor, die hell und stark weiter blüht.
So eine habe ich auf meine Fensterbank gestellt…
Überzeuge dich selbst, Liebling, und komm zurück!

Übersetzung aus dem Ukrainischen: Rita Grinko