Viertes Deutsch-Ukrainisches Schriftstellertreffen in der Ukraine
MARIUPOL liegt im äußersten Südosten der Ukraine, direkt am Asowschen Meer. Die Stadt wurde im 18. Jahrhundert von Krimgriechen gegründet. In der sowjetischen Zeit zwischen 1948 und 1989 hieß sie Schdanow, nach einem aus Mariupol gebürtigen stalinistischen Funktionär. Die Rückbesinnung auf den Ursprungsnamen war ein Meilenstein für die Identität der Stadt. Das Antlitz Mariupols ist noch immer sowjetisch geprägt, vor allem wegen der mächtigen, heute einem einzigen Oligarchen gehörenden Stahlwerke »Iljitsch« und »Asowstal«, für die fast fünfzigtausend Menschen der Halbmillionenstadt arbeiten. Der Tiefseehafen, an dem seit den Kämpfen um Mariupol 2014 weniger Schiffe anlegen, ist durch breite Schienenstränge zwischen dem weitläufigen Meeresstrand und der nach Nordosten hin ansteigenden Stadt mit den Stahlwerken verbunden.
Es heißt, es gäbe keine Buchhandlungen hier, auch keine nennenswerte Literaturszene. Aber unser Literaturprojekt ist höchst willkommen: der kulturell motivierten Stadtspitze, der sehr aktiven Stadtbibliothek, die gerade ein Literaturmuseum einrichtet, dem sprachorientierten Stadtlyzeum und den geisteswissenschaftlich bedeutenden Universitätsfakultäten. Sie mögen dazu beitragen, dass Neuankommenden große Offenheit entgegengebracht wird.
Tausende von Binnenflüchtlingen aus dem Kriegsgebiet im Osten der Ukraine soll Mariupol aufgenommen haben. Nur zwanzig Kilometer vor der Stadt verläuft die Frontlinie, und die Grenze zu Russland ist nah. Weil mit der Hafenstadt der Landweg zum Meer gesichert gewesen wäre, war Mariupol 2014 zu einem umkämpften Ziel der prorussischen Separatisten geworden. Die Stadt hat sich jedoch ihre Freiheit erhalten. Маріуполь – це Україна / Mariupol ist Ukraine lautet der Wahlspruch. Ein guter Ort für »Eine Brücke aus Papier« und ihrem vierten ukrainisch-deutschen Schriftstellertreffen. Der Flughafen Mariupol ist seit den Kämpfen stillgelegt. Man reist mit dem Nachtzug aus Kiew, Lwiw oder Dnipro an. Bei der Ankunft fällt der Blick auf die gigantischen Stahlwerke, die sich am Horizont erheben. Erst wenn man durch die Straßen flaniert und das südliche Ende des historischen Parks erreicht hat, weitet sich vor dem Auge scheinbar friedlich das Meer.
Was Mariupol wirklich bewegt, wird das Treffen der Schriftstellerinnen und Schriftsteller zum Vorschein bringen: in Gesprächen, Vorträgen und Debatten im neuen Kulturzentrum Platforma Tju, beim aktiven Besuch des Buch- und Pressefestes der Stadt Mariupol im historischen Stadtpark, der Lesenacht im Kulturpalast »Jugend« und den Exkursionen in das Stahlwerk und die Historie Mariupols – im Austausch mit der Stadt und ihrem Publikum.
Deutschland
Daniela Danz (Lyrik, Prosa), geb. 1976 in Eisenach, lebt in Kranichfeld.
Anja Kampmann (Lyrik, Prosa), geb. 1983 in Hamburg, lebt in Leipzig.
Alexander Milstein (Prosa), geb. 1963 in Charkiw, lebt in München.
Hans Pleschinski (Prosa), geb. 1956 in Celle, lebt in München.
Ulrike Almut Sandig (Lyrik, Prosa), geb. 1979 in Großenhain, lebt in Berlin.
Noemi Schneider (Prosa), geb. 1983 in München, lebt in Weiler / Allgäu.
Ukraine
Sofia Andruchowytsch (Prosa), geb. 1982 in Iwano-Frankiwsk, lebt in Kiew.
Olexandr Irwanez (Lyrik, Prosa), geb. 1961 in Lwiw, lebt in Irpin, bei Kiew.
Wladimir Rafejenko (Lyrik, Prosa), geb. 1969 in Donezk, lebt in Kiew.
Grigory Sementschuk (Lyrik), geb. 1991 in Lwiw, lebt dort.
Witalij Tschenkskyj (Drama, Prosa), geb. 1975 in Mariupol, lebt in Kiew.
Serhij Zhadan (Lyrik, Prosa), geb. 1974 in Starobilsk, lebt in Charkiw.
Vortragende
Nick Baker-Monteys, geb. 1964 in Berlin, Drehbuchautor und Regisseur, lebt in Berlin.
Sergej Pachomenko, geb. 1973 in Mariupol, Historiker, außerordentlicher Professor für Internationale Beziehungen und Außenpolitik an der Staatlichen Universität Mariupol, lebt dort.
Karl Schlögel, geb. 1948 in Hawangen bei Memmingen, Professor em., Historiker und Publizist, lebt in Berlin.
Felix Stephan, geb. 1983 in Berlin, Literaturredakteur im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung und Autor, lebt in München.
IM VIDEOGESPRÄCH
Natascha Wodin (Prosa) geb. 1945 in Fürth / Bayern, lebt in Berlin und Mecklenburg.
Künstlerische Leitung
Verena Nolte, München
Projektbetreuung
Anita Fellner und Anton Fellner (auf freiwilliger Basis)
Julia Owtscharenko, Dnipro
Iryna Rybko
Dolmetscher:innen
Juri Durkot, Lwiw
Halyna Kotowski, Lwiw
Natalia Kulabucha, Dnipro
Moderation
Iryna Mahdysh, Lwiw
Chrystyna Nazarkewytsch, Lwiw
Verena Nolte, München
Übersetzer:innen
Deutsch-Ukrainisch
Juliya Mykytjuk (Ulrike Almut Sandig)
Chrystyna Nazarkewytsch (Daniela Danz, Anja Kampmann, Natascha Wodin)
Jurko Prochasko (Hans Pleschinski)
Natalka Sniadanko (Noemi Schneider, Ulrike Almut Sandig)
Natalija Schymon (Felix Stephan)
Ukrainisch–Deutsch
Juri Durkot, Sabine Stöhr (Serhij Zhadan)
Beatrix Kersten, Ulrike Almut Sandig (Grigory Sementschuk)
Esther Kinsky (Serhij Zhadan)
Alexander Kratochvil (Oleksandr Irwanez)
Maria Weissenböck (Sofia Andruchowytsch)
Russisch–Deutsch
David Drevs (Alexander Milstein)
Lydia Nagel (Wladimir Rafejenko, Witalij Tschenskyj)
Platforma Tju
Mitropolitska 19, Mariupol
Tel. +380 68 372 7527
Das Treffen ist öffentlich.
Es wird simultan gedolmetscht. Der Eintritt ist frei.
10.00–13.00 Uhr
Begrüßung und Einführung
Leseperformance: Iryna Mahdysh, Chrystyna Nazarkewytsch und Verena Nolte stellen die Schriftsteller / innen in Kurzlesungen und Gespräch vor.
14.30 Uhr
Besuch des Stadtparks und des Buch- und Pressefestes der Stadt Mariupol.
15.30 – 16.30 Uhr
LANDSCHAFT
Musik- und Lyrikprojekt
Ulrike Almut Sandig (D) und Grigory Sementschuk (UA)
Freilichtbühne im Stadtpark Mariupol.
18.00–19.00 Uhr
Videogespräch – Natascha Wodin
Sie kam aus Mariupol
Mit Natascha Wodin und Chrystyna Nazarkewytsch
Diskussion
10.00–11.00 Uhr
Lesung und Vortrag
Felix Stephan
Slawa und seine Frauen oder »Wie ich meinen ukrainischen Großvater fand«.
Diskussion
11.30–12.30 Uhr
Vortrag – Sergej Pachomenko
Mariupol: Neuerfindung der Identität. Gesellschaft, Politik und historisches Gedächtnis in der Frontstadt.
Diskussion
15.00–17.30 Uhr
Exkursion
in die Stadt mit Olga Demidko, Historikerin Staatliche Universität Mariupol.
19.00–21.30 Uhr
Lange Lesenacht
mit allen teilnehmenden Schriftsteller / innen
Kulturpalast »Jugend«, Kharlampiiwska Str. 17 / 25.
10:00–12:30 Uhr
Exkursion
in das Stahlwerk »Iljitsch«.
14.30–16.30 Uhr
Vortrag – Karl Schlögel
Archäologie des Kommunismus oder Russland im 20. Jahrhundert. Ein Bild neu zusammensetzen.
Resümee des Treffens
Planung »Eine Brücke aus Papier« 2019 in München und weiteren deutschen Städten.
19.00 Uhr
Empfang des deutschen Generalkonsulats von Donezk – Dienstsitz Dnipro (auf Einladung)
Restaurant Hotel Poseidon
Prymors’kyi Blvd, 19, Mariupol 87500.
Förderung
Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland
Bayerisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst aus Mitteln der Bayerischen Staatskanzlei.
Kooperation
Goethe-Institut Ukraine Kiew
Deutsches Generalkonsulat von Donezk – Dienstsitz Dnipro
Stadt Lwiw
City of Literature Lviv
32 Vozdvizhenka Art House Kiew
Stadt Mariupol
Zentrale Stadtbibliothek Korolenko Mariupol
Staatliche Universität Mariupol
Stadtlyzeum Mariupol
Platforma Tju Mariupol
Lyrik Kabinett München
Der nachfolgende Film „Nachtzug nach Mariupol“ von Wanja Nolte, der das Treffen von Mariupol 2018 dokumentiert, hat jetzt die schmerzliche Bedeutung bekommen, eine Stadt abzubilden, die nach den jüngsten Kriegszerstörungen so nicht mehr existiert. Mariupol, „Die Stadt Mariens. Die Stadt der Würde. Das unglaubliche Mariupol.“ (Gedicht von Oleksandr Irwanez unter „Lektüre“ nachzulesen.)