Eine Brücke aus Papier 2017

Drittes Deutsch-Ukrainisches Schriftstellertreffen in der Ukraine

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Vom 5. – 7. Oktober 2017 zieht das Literatur- und Kunstprojekt Eine Brücke aus Papier mit dem dritten deutsch-ukrainischen Schriftstellertreffen weiter nach Charkiw (russisch Charkow), in die nordöstlich, nahe der Grenze zu Russland gelegenen, ukrainische Metropole. „Über Charkiw wissen wir wenig“, eröffnet Karl Schlögel, deutscher Historiker und Osteuropa-Experte, sein Porträt von Charkiw — Karl Schlögel, Entscheidung in Kiew. Ukrainische Lektionen, München 2015 —, Stadt „am Rande Europas“. Schlögel, Teilnehmer des ersten Schriftstellertreffens der Brücke aus Papier in Lwiw, konstatiert die „Abwesenheit einer großen europäischen Stadt in unserem Horizont“. Und wer erinnert sich bei uns daran, dass Charkiw von 1919 bis 1934 Hauptstadt der Ukraine, also der Sowjetukraine, war? Betritt man die Stadt, erkennt man augenblicklich ihre hauptstädtischen Dimensionen und ihr historisches Gewicht.

Der Charkiwer Literaturwissenschaftlerin Tanya Zaharchenko gilt ihre Stadt als historische Heimat der ukrainischen Kultur. Auch das heutige Charkiw hat eine lebendige mehrsprachige Literaturlandschaft mit großer Ausstrahlung. Wer Serhij Zhadans „Mesopotamien“ gelesen hat, glaubt Charkiw, die Stadt an den zwei Flüssen, zu kennen, oder vielmehr die Stimmung, die sie hervorruft, ihre Gerüche und die Farben der Häuser und Fabriken, ein poetisches neuzeitliches Babylon.

Nicht nur Zhadan, von der Kritik als Rockstar der ukrainischen Literatur gefeiert, ist hier zu Hause. Der Künstler und Fotograf Boris Michailow ist aus ihr hervorgegangen. Der Graffitikünstler Hamlet/Гамлет muss in ihr beheimatet sein, denn man trifft beim Gang durch die Stadt immer wieder auf seine unverkennbaren schwarz auf weißem Grund gemalten Wandzeichnungen, jedenfalls wenn man von den Charkiwer Schriftstellern Andrej Krasnjaschtschich und Juri Zaplin geführt wird. Durch sie erfährt man, wo sie leben, gelebt und gewirkt haben, die Dichter, Künstler, Architekten und Baumeister dieser Stadt. Banken, Wohngebäude für eine ehemals wohlhabende Elite, Industriegebäude, Theater, Kirchen, Synagogen. Jedes zweite Haus scheint eine Geschichte zu erzählen. Die Zehner- und Zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts haben sich besonders ins Gesicht Charkiws eingeprägt, auch wenn die Stadt wie fast alle ukrainischen Städte großen Zerstörungen, Kriegen und Vernichtungen ausgesetzt war, mit eingeschlossen die von deutscher Hand, wie schon in Lwiw und Dnipro, wo die ersten beiden Schriftstellertreffen stattfanden.

Es scheint wie ein Wunder, dass die Sumskajastraße, die vom Norden her über den Freiheitsplatz, einem der größten Plätze Europas, hügelabwärts in die Altstadt Charkiws fällt, abwechselnd mit über ihr hängenden Fahnen der Ukraine und der EU beflaggt ist. Zum Dank für die kürzlich erfolgte Visafreiheit, wird mir erklärt. Hunderte Studentinnen und Studenten in akademischen Festgewändern feiern beim Denkmal für den ukrainischen Dichter Taras Schewtschenko gerade ihr Abschlüsse. Charkiw ist eine der wichtigsten Universitätsstädte Osteuropas.

Ins Auge fällt die Gegenwart des nahen Krieges am Freiheitsplatz, wo ein Camp aufgebaut ist, das um Solidarität mit den kämpfenden ukrainischen Soldaten bittet und Spenden sammelt. Errichtet genau gegenüber dem mächtigen Gebäude der Regionalverwaltung, auf dem, wie meine Begleiter erzählen, 2014 nur einen kurzen Augenblick lang die Flagge der Separatisten wehte, die der unmittelbare Widerstand des mehrheitlich russischsprachigen Charkiws bis heute vertrieb.

Teilnehmende

Autorinnen / Autoren

Deutschland
Akos Doma (Prosa), geb. 1963 in Budapest, Schriftsteller und Übersetzer, lebt in Eichstätt.
Jan Himmelfarb (Prosa), geb. 1985 in Charkiw / Ukraine, lebt in Bochum.
Alexander Milstein (Prosa), geb. 1963 in Charkiw, russischsprachiger Schriftsteller und Künstler, lebt seit 1995 in München.
Marion Poschmann (Lyrik, Prosa), geb. 1969 in Essen, lebt in Berlin.
Kerstin Preiwuß (Lyrik, Prosa), geb. 1980 in Lübz, lebt in Leipzig.
Noemi Schneider (Prosa), geb. 1982 in München, Schriftstellerin und Filmemacherin, lebt in München und Weiler.

Ukraine
Juri Andruchowytsch (Lyrik, Prosa), geb. 1960 in Iwano-Frankiwsk, lebt dort.
Oleh Kozarew (Lyrik, Essay), geb. 1981 in Charkiw, lebt in Charkiw und Kiew.
Andrej Krasnjaschtschich (Prosa), geb. 1970 in Poltowa, lebt in Charkiw.
Oksana Sabuschko (Lyrik, Prosa), geb. 1960 in Luzk , lebt in Kiew.
Juri Zaplin (Lyrik, Prosa), geb. 1972, lebt in Charkiw.
Serhij Zhadan (Lyrik, Prosa), geb. 1974 in Starobilsk, lebt in Charkiw.

Vortragende
Guido Hausmann, geb. 1960, Professor für Geschichte Ost- und Südosteuropas an der Universität Regensburg.
Jutta Sommerbauer, geb. 1977 in Wien, lebt dort. Politologin, Journalistin, Publizistin, Autorin des Buches »Die Ukraine im Krieg«, Wien 2016, bereiste mehrfach den Donbass, zuletzt im Mai 2017.
Ljubow Jakymtschuk, geb. 1985 in Pervomajsk, Luhansker Gebiet, stellt den ukrainischen futuristischen Dichter Mychail Semenko (1892 – 1937) anhand von bisher unveröffentlichtem biografischem Material vor.
Oleh Shpilman, geb. 1963 in Lwiw, lebt in Charkiw, Verleger und Leiter des Buchklubs Familiy Leisure Club spricht über die Situation des ukrainischen Buch- und Literaturwesens.
Tanya Zaharchenko, geb. 1980 in Charkiw, Literaturwissenschaftlerin, forscht zurzeit in Oslo / Norwegen. Autorin der Studie »Where Currents Meet: Frontiers in Post-Soviet Fiction of Kharkiv, Ukraine, Central European University Press, Budapest, New York 2015«.

Mitwirkende

Künstlerische Leitung
Verena Nolte, München

Projektbetreuung
Chrystyna Nazarkewytsch, Lwiw
Anita Fellner und Anton Fellner (auf freiwilliger Basis) 
Julia Owtscharenko, Dnipro
Maryna Sorokolat

Dolmetscher:innen
Juri Durkot, Lwiw
Halyna Kotowski, Lwiw

Moderation
Chrystyna Nazarkewytsch, Lwiw
Jurko Prochasko, Lwiw
Verena Nolte, München

Übersetzer:innen
Deutsch-Ukrainisch
Juri Andruchowytsch (Kerstin Preiwuß)
Juri Durkot (Serhij Zhadan, Jutta Sommerbauer, Guido Hausmann)
Natalya ­Kulabucha (Jan Himmelfarb)
Chrystyna Nazarkewytsch ­(Marion Poschmann)
Ludmila Nor (Akos Doma, Petra Morsbach)
Stefaniya Ptashnyk (Kerstin Preiwuß)
Natalka Sniadanko (Noemi Schneider)

Ukrainisch–Deutsch
Beatrix Kersten (Liubow Jakymchuk, Oleh Kozarew)
Alexander Kratochvil (Oksana Sabuschko)
Stefaniya Ptashnyk (Serhij Zhadan)
Sabine Stöhr (Serhij Zhadan, Juri Andruchowytsch)

Russisch–Ukrainisch
Chrystyna Nazarkewytsch (Alexander Milstein)
Natalija Schymon (Juri Leiderman)

Russisch–Deutsch
David Drevs (Alexander Milstein, Juri Zaplin)
Lydia Nagel (Juri Leiderman)
Olga Radetzkaja (Andrej Krasnjaschtschich)

Englisch–Ukrainisch
Juri Durkot (Jerry Zeniuk)
Victoria Narizhna (Tanya Zaharchenko)

Englisch–Deutsch
Lydia Nagel (Tanya Zaharchenko)

Kunstprojekte

Kryvolap/Zeniuk

Die Maler Jerry Zeniuk (München/New York) und Anatoliy Kryvolap (Kiew/Ukraine) treffen sich zum öffentlichen Künstlergespräch mit dem Ziel einer dialogischen Ausstellung in der Ukraine und in Deutschland.

Beide Maler gehören derselben Generation an und für beide ist die Farbe der Schlüssel zu ihrer Arbeit: Farbe, Licht, Formgebung für Farbe und Anziehung der Farben untereinander. Der Weg zur Malerei der beiden Künstler könnte jedoch unterschiedlicher kaum sein.

Wie zwei Maler, die aus so unterschiedlichen Kunstschulen hervorgingen, zu einem so ähnlichen Verständnis von Farbe gelangen konnten, was sich machtvoll in ihren Bildern zeigt, wird ein Thema des Gesprächs zwischen beiden sein.

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Künstlerbegegnung in Charkiw und Kiew

In Charkiw und Kiew werden die Münchner Künstler Ingrid Floss, Jerry Zeniuk und Alexander Milstein, Kontakte zu ukrainischen Künstlerinnen und Künstlern herstellen, vielmehr wo sie schon bestehen, intensivieren, um einen Austausch zu beginnen, der zu Aktionen und Ausstellungen in beiden Ländern führen soll.

Programm

Veranstaltungsort

SPALAH
Wul. Devocha 6,
Charkiw 61000.
Tel. +380 (67) 01 01 202

Das Treffen ist öffentlich und wird simultan gedolmetscht.

Do, 05.10.2017 

10.00–13.00 Uhr  
Begrüßung und Einführung
Chrystyna ­Nazarkewytsch, Verena Nolte und Jurko Prochasko stellen die Schriftsteller / innen vor.                           

14.30 Uhr    
Vortrag – Oleg Shpilman 
Ukrainische Leserpräferenzen:
Gegenwart und Zukunft.

Vortrag – Tanya Zaharchenko 
Ukrainestudien im Westen:
Traumatheorie und zeitgenössische ostukrainische Literatur.

Diskussion 

17.00 Uhr
Schreiben im Fremden: Pjatipol. Zwischen Linien und Zeilen.
Vorstellung des neuen Romans von Alexander Milstein, mit dem Verlag 32 Vozdvizhenka Arts House.

18.30 Uhr
Abendempfang des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in Donezk – Dienstsitz Dnipro, Charkiw Palace Hotel, 11. Etage (auf Einladung).

Fr, 06.10.2017 

10.00–13.00 Uhr
Exkursion
Stadtführung mit Andrej Krasnjaschtschich (russisch – deutsch).

14.30 Uhr
Vortrag – Jutta Sommerbauer
In der Grauzone. Erfahrungen einer Berichterstatterin im Kriegsgebiet.

15.30 Uhr
Vortrag – Guido Hausmann
Vortrag zur jüngeren Geschichte Charkiws.

Diskussion

19.00 Uhr   
Leseabend
mit allen teilnehmenden Schriftsteller / innen
Theater im Haus der Schauspieler, Vul. Manizer 3.

21.00 Uhr   
Konzert – Mannerheimlinie
mit Serhij Zhadan (Stimme), Eugene Turchinov (Gitarre) und Oleg Kadanov (Gitarre).
Theater im Haus der Schauspieler, Vul. Manizer 3.

Sa, 07.10.2017

10.00–13.00 Uhr   
Exkursion
Gregorius ­Skoworoda (1722 – 1794 ). Ausstellung im ­Literaturmuseum. Anschließend Führung zur Straßenkunst mit Hamlet Zinkowskyi, Graffitikünstler.

14.30 Uhr
Vortrag – Ljubow Jakymtschuk
Der Futurist Michajl Semenko und die Politik der Sowjetukraine.

Anschließend Diskussion und Resümee des Treffens, Planung weiterer Treffen.

18.00 Uhr
Ende.

Partner:innen

Förderung
Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland
Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst aus Mitteln der Bayerischen Staatskanzlei
Kulturreferat der Landeshauptstadt München

Kooperation
Goethe-Institut Ukraine
Kultura Medialna,
Dnipro Family Leisure Club Ukraine
32 Vozdvizhenka Arts House, Kiew
Art Ukraine Gallery, Kiew
Kulturamt der Stadt Lwiw (Lviv – City of Literature)
Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland Donezk / Dienstsitz Dnipro

Einblicke

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